
esther stocker
untitled, 2018
acrylic on cotton, 140 x 160 cm
while the others are dancing,
today’s sensor review spotlight is on:

© esther stocker & rudolf strobl
indecision is humanity’s greatest blessing and curse at once. although we should examine each of our decisions only in hindsight and in combination with their outcomes, it is precisely the doubts, the „if only i had…“ that often manage to make life’s path bumpy. with the clear certainty that, despite knowing its futility, we cannot prevent the gnawing doubt from continuing its exhausting work, we watch with a calm unease—feet up, cold drink in hand, popcorn, and favorite pillow on our stomach—the outcome of the vicious slap-and-hair-pulling cacophony between joan of arc and cersei lannister. perceiving the world only in black and white is considered highly unsophisticated; the gray faction opens their soothing conversational marathon with „but i think that…,“ and the player with the white chess pieces makes the first move, thus gaining the advantage. the binary world—a difficult-to-predict drama of order and chaos.
now, assemble a 5,000-piece puzzle, preferably with the theme of ‚water‘ or ’sky,‘ lift the completed image on its board to a height of 20 cm above the table… and let it fall. the expected event corresponds to the analysis of a narcissistic society, published since 1979 and flourishing in waves, along with its latest iterations—victim-narcissism and intoxication. in the constant blending of logic and emotion, the population, writhing in self-awareness, seeks adequate coping strategies for the general personality disorder. esther stocker’s system of disruption, captured on canvas or as room installations, mirrors—intentionally or not—the unbearable nature of this decades-old public phenomenon in a way resembling an anagram. distorted graphic systems, with their multitude of forms derived from geometry, serve as the artist’s constant working field. stocker also understands very well how to use the game of three-dimensional illusion on a two-dimensional surface to convey her artistic message.
while op-art from the 60s could still deceive the viewer visually with effects and geometric abstractions, stocker’s focus lies precisely in the dynamic break with this obvious reuse of visual phenomena. „who is the fool, the fool or the fool who follows the fool?“ perfectly encapsulates stocker’s mirrored questions. are we the system that welcomes or even fights the break? are we the break, justified in defining the system’s limits and thereby reforming it? and in this confrontation, are we moving forward or perhaps even backward in time? the artist, as the initiator of our insecurity, will retreat to the claim that she is merely the stone, producing ripples as it dives into the water. in chess, the choice of white or black is made blindly—would such external decisions be enriching in all areas of life? we simply don’t know.
iir, october 2024
In der Unentschiedenheit liegt der Menschheit größter Segen und Fluch zugleich. Wiewohl wir jede unserer Entscheidungen im Nachhinein nur in Kombination mit deren Ergebnissen untersuchen sollten, sind es gerade die Zweifel, das ‚hätte ich doch…‘, die den Lebensweg mitunter holprig zu gestalten wissen. Mit der eindeutigen Gewissheit, den zweifelnden Nager ob seiner Sinnlosigkeit dennoch nicht von seiner zermürbenden Arbeit abbringen zu können, betrachten wir beunruhigt gelassen, die Füße hoch samt Kaltgetränk mit Popcorn, das Lieblingskissen auf dem Bauch, den Ausgang der fiesen Ohrfeig- und Haarrauf-Kakophonie zwischen Jeanne d’Arc und Cersei Lannister. Die Welt nur schwarz/weiß wahrzunehmen gilt als ungemein unfein, die Graufraktion eröffnet mit ‚Ich hingegen finde, dass…‘ ihren wundstreichelnden Gesprächsmarathon, und wer die weißen Schachfiguren führt, eröffnet das Spiel und hat so den Vorteil zum Sieg. Die binäre Welt, ein schwer kalkulierbares Drama aus Ordnung und Chaos.
Erstelle ein Puzzle mit 5000 Teilen, bevorzugt das Thema ‚Wasser‘ oder ‚Himmel‘, hebe die Platte mit dem darauf liegenden fertigen Bild auf die Höhe von 20 cm über den Tisch an… und lasse diese fallen. Das zu erwartende Ereignis entspricht der seit 1979 publizierten und in Wellen auf- und abblühenden Analyse einer narzisstischen Gesellschaft, mitsamt ihren neuesten Spielarten – Opfer-Narzissmus und Intoxikation. In der permanenten Vermischung von Logik und Gefühl sucht die in Selbsterkenntnis wühlende Bevölkerung adäquate Bewältigungsstrategien zur allgemeinen Persönlichkeitsstörung. Esther Stockers System der Brechung, auf Leinwand gebannt oder als Rauminstallation, spiegelt anagrammartig, gewollt oder unbewusst, die Unerträglichkeit dieses seit Jahrzehnten schwelenden öffentlichen Phänomens. Durch Deformation gestörte grafische Systeme bilden mit ihrer Vielzahl der Geometrie entnommener Organisationsformen das stete Arbeitsfeld der Künstlerin. Stocker weiß darüber hinaus auch sehr genau, das Spiel der dreidimensionalen Täuschung auf zweidimensionalem Grund zur Nutzung ihrer künstlerischen Aussage einzusetzen.
Darf die Op-Art der 60er Jahre noch mit Effekten und der Nutzung geometrischer Abstraktionen optisch den Betrachter täuschen, liegt gerade im dynamischen Bruch mit dieser offensichtlichen Umnutzung visueller Phänomene Stockers Fokus. ‚Wer ist der Narr, der Narr oder der Narr, der dem Narren folgt?‘ versprachlicht exakt im Stocker’schen Sinne die sich spiegelnden Fragestellungen. Sind wir das System, das den Bruch willkommen heißt oder gar bekämpft? Sind wir der Bruch, der berechtigt des Systems Grenzen benennt und es somit reformiert? Und befinden wir uns in dieser Auseinandersetzung auf einer vorwärts- oder gar rückwärtsgewandten Zeitschiene? Die Künstlerin als Initiatorin unserer Verunsicherung wird sich darauf zurückziehen, sie sei nur der Stein, der ins Wasser eintauchend Wellen produziert. Beim Schach wird die Wahl der Farbe Weiß oder Schwarz blind entschieden – wäre diese Fremdentscheidung in allen Fragen bereichernd? Man weiß es eben nicht.
iir, october 2024