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philipp lachenmann 
flags fabric, 2015

photography, size variable

while the others are dancing,
today’s sensor review spotlight is on:

philipp lachenmann

© philipp lachenmann

en
de

conquest, possession, loss–a flag knows it will have a turbulent life. it will be hoisted, lost in battle, or finally folded in honor of a fallen comrade for the bereaved. a flag is a serious, truly serious matter, though the british comedian eddie izzard, in his sketch ‚do you have a flag,‘ brilliantly demonstrates how one can be waved satirically, turning it into an object of mockery and ridicule. flags are useful, and the thought of battlefield-wide confusion before their invention is amusing. but order needs something to symbolize it, and when a breeze stirs, the object that sets the sign flutters merrily and innocently on the pole. thus, the phrase ‘a flag in the wind’ has become a biting comment about a person lacking backbone, whose fickleness can quite literally decide unpredictable majorities as a swing voter. as much as we shake our heads and pity such facelessness lingering in uncertainty, it becomes an extensive focus of the battling political parties, especially during election time.

once the fight, or even the battle, is decided, the noble question of honor shifts to a lower plane of survival—especially when, confident of victory, one has riddled the hats of the incoming alliances long and hard enough. the former nazi-supporting populace, soon no longer allowed to think brown, senses grim retribution, and those handy with crafts immediately set to work appeasing the enemy with the flag of his choice. upon the liberation of france, the americans find themselves joyfully embraced by the local population, waving stars and stripes. this trick, however, is foreseeably unrepeatable on german soil, but, as the swastika-bearer dies first and hope last, needles and thread fly into action. there’s not much to lose, considering that in german cities, few stones are still stacked one upon the other, thanks to the concentrated fire of the royal air force. though it’s difficult to precisely document the historical course of events, one fact is clear: the flags gathered and photographed by philipp lachenmann show no bullet holes.

with zhao tingyang, we learn that history has no laws, only uncertainties. with the imperfectly handmade american flag, the one waving it slips from one identity into a new, unfamiliar one – as we view the image of this historic object, we become part of this transformation. through the photographic enlargement and vivid microscopic examination of the originally rather small flag, the artist allows us to participate in the conceptual reworking of a fabric, once used in the everyday life of the third reich, into a bold statement of a new, unknown future – history becomes legible in the details. in his works, lachenmann explores in multilayered ways the longing for attainment and that brief, hopeful moment between ‘not yet’ and ‘no longer.’ tingyang’s universal system, tianxia, may offer a healing vision for the world, but it cannot hide one flaw of humanity: the confucian idea that improvement of the individual is only possible if everyone improves together. sensing the impossibility of this, we are left to wonder. should an intergalactic community someday circle above earth with their spaceships, it might already be worth considering which flag we would be willing—or forced—to wave.

iir, october 2024

Eroberung, Besitz, Verlust – eine Flagge weiß, dass ein turbulentes Leben folgt. Sie wird gehisst werden, im Kampf verloren oder anlässlich des Todes eines Kameraden für die Hinterbliebenen final gefaltet. Eine Flagge ist eine ernste, eigentlich ernst zu nehmende Sache, wenn auch der britische Komiker Eddie Izzard in seinem Sketch „Do You Have a Flag“ sehr genau vorführt, wie man sie satirisch richtig geschwenkt zum Ziel von Spott und Hohn machen kann. Flaggen sind nützlich, und die Vorstellung schlachtfeldweiter Verwirrung vor ihrer Erfindung macht schmunzeln. Aber Ordnung braucht eben ein Ordnendes, und wenn ein Lüftchen aufkommt, flattert das zeichensetzende Objekt dann auch fröhlich unschuldig an der Stange. So gilt das „Fähnchen im Wind“ auch als garstiger Kommentar über einen Menschen mit mangelndem Rückgrat, dessen Haltungslosigkeit als im wahrsten Sinne Wechselwähler ungewisse Mehrheiten entscheiden kann. So sehr man auch solche im Trüben verbleibende Gesichtslosigkeit kopfschüttelnd bemitleidet, ist sie dennoch gerade zur Wahlzeit extensiver Fokus der sich bekämpfenden Parteien.

Ist der Kampf, die Schlacht sogar, entschieden, wechselt die hehre Frage der Ehre über in eine tiefer gelegene Ebene des Überlebens, vor allem da man siegesgewiss den hereinströmenden Allianzen lange und anhaltend genug die Mützen durchlöchert hat. Dem zukünftig nicht mehr braun zu denken habendem Volk der Ex-Nationalsozialisten schwant böse Vergeltung, und so machen sich handwerklich Fleißige umgehend daran, den Gegner mit der Flagge seiner Wahl zu besänftigen. Bei der Befreiung Frankreichs liegen die Amerikaner massiv beglückt und umgehend in den Armen der Stars-and-Stripes-wedelnden Landesbevölkerung. Dieser Trick allerdings ist absehbar auf deutschem Boden nicht wiederholbar, aber der Hakenkreuzträger stirbt zuerst und die Hoffnung zuletzt, also lässt man Nadel und Faden fliegen. Zu verlieren dabei ist wirklich nicht viel, in den deutschen Städten liegen dank des fokussierten Feuereifers der Royal Air Force wenig Steine noch übereinander. Den genauen Verlauf des Geschehens historisch korrekt darzustellen, ist schwer möglich, aber ein Fakt liegt klar auf der Hand – die von Philipp Lachenmann zusammengetragenen und fotografisch dokumentierten Flaggen weisen keinerlei Einschusslöcher auf.

Mit Zhao Tingyang erfahren wir, dass Geschichte keine Gesetze hat, nur Ungewissheiten. Mit der handarbeitlich unvollkommenen US-Flagge schlüpft der Wedelnde von einer Identität in eine ihm unbekannt neue – betrachten wir die Abbildung dieses historischen Objektes, werden wir Teil seiner Transformation. Mit der photographischen Vergrößerung und anschaulichen Mikroskopierung der ursprünglich eher kleinen Flagge lässt uns der Künstler teilhaben an der inhaltlichen Umfügung von im Alltag des Dritten Reiches genutztem Stoffwerk in ein wagemutiges Bekenntnis zu einer neuen, unbekannten Zukunft – Geschichte wird im Detail ablesbar. In seinen Werken thematisiert Lachenmann auf vielschichtige Weise die Sehnsucht nach Erlangung und diesen kurzen, hoffnungsvollen Moment zwischen „noch nicht“ und „nicht mehr“. Tingyangs heilbringendes Weltpflaster, das universelle System Tianxia, kann einen Makel der Menschheit nicht übersehen machen: In die Vereinigung der physischen, psychologischen und politischen Welt wird die konfuzianische Verbesserung mit eingedacht. Da diese besagt, dass sich das Individuum nur verbessern kann, wenn sich alle verbessern, erahnen wir die daraus resultierende Unmöglichkeit. Sollte also dereinst die intergalaktische Gemeinschaft mit ihren Raumschiffen über der Erde kreisen, könnte sich der Gedanke schon jetzt lohnen, welche Flagge wir dann gewillt oder genötigt sind zu schwenken.

iir, october 2024