
alfred kubin
every night a dream visits us, ca.1902
ink pen and drawing brush, 26,3 x 23,5 cm
while the others are dancing,
today’s sensor review spotlight is on:

© staatliche graphische sammlung albertina
whoever wakes up with fleas should take better care of their dog. this advice may be enlightening for dealing with pets, but woe to you if a nightmare filled with chimeras and animalistic half-beings pulls you out of bed—your mental health is endangered. seen in this light, the first reactions to alfred kubin’s early work are devastating. branded as an outsider, a doom-monger, and dark spirit, his unique linework is dismissed as clumsy—in short, the artist, already ill-disposed toward the world, faces harsh criticism. this slowly but steadily changes when the munich publisher hans von weber releases a bibliophile portfolio of kubin in 1903, revealing the artist’s true position from the mocking frost of arrogance. the works, rooted deep in the darker corners of the soul, are certainly difficult to sell, but eventually kubin’s rank in fantastic art is sometimes placed even above that of max klinger. the deep-seated causes of such carefully prepared imagery, with countless sketches, might be better understood today, but around 1900, psychoanalysis or similar forms of therapy are not yet the handy tissues by the side of a comfortable armchair within easy reach of the patient.
kubin’s emotional outpouring is a cascade of encyclopedic torment. nothing seems to spare the dreamer—devastation, war, and epidemics weigh heavily on his fear-stricken psyche. like francisco de goya before him, he wades knee-deep through scenes of delusional pain, borrowing goya’s depiction of horror in animal form. but the satirical, animal-symbolism-enriched world of the spaniard seems too small for kubin, so he digs deep into myths of classical fable creatures and their infinite combination of body parts. in stark contrast to goya, however, the depiction of the female, especially the naked body, does not represent a celebration of beauty for kubin but rather another source of sinister danger. when louise bourgeois, a century later, gives her spider-theme its biggest execution in size with the sculture ‚maman‘, the motherly association hidden within the work is the exact opposite of kubin’s portrayal—offering warmth and affection.
from mary shelley and edgar allan poe to j.r.r. tolkien and stephen king, the fascination with horror has pierced many pages of books. precisely because kubin’s reception at the turn of the century holds such a brusque, dismissive stance, we can see how the approach to the murky stream of dark figures from the depths—or, worse, from the subconscious—has evolved over time, and how society’s gradual acclimatization to these dark abysses reflects on kubin’s work. “every night a dream visits us,” as a t-shirt slogan for a contemporary metal band, might raise only a chuckle today. seen in the context of its creation though, the radiating intensity of this spider-woman is immense, and psychologically, her terrifying, overpowering dimension are pure goosebumps. kubin’s life’s work, illustrating fantastic literature of the past century, very successfully reveals that a child born today can play with the monstrosities of past times as if they were lego bricks.
iir, october 2024
Wer mit Flöhen erwacht, sollte seinen Hund besser pflegen. Dieser Rat mag für den Umgang mit Haustieren erhellend sein, aber wehe, treibt dich der mit Chimären und animalischen Halbwesen durchdrungene Alptraum aus den Federn, ist es um deine geistige Gesundheit geschehen. So gesehen sind die ersten Reaktionen auf das frühe Werk Alfred Kubins niederschmetternd. Als Außenseiter, Schwarzmaler und Düstergeist gebrandmarkt, wird seine ureigene Linienführung als stümperhaft abgetan – kurzum, dem ohnehin der Welt nicht gütlich gegenüberstehenden Künstler facht man ordentlich Feuer unter dessen Arbeiten an. Dies ändert sich zögerlich zwar, aber stetig, als der Münchner Verleger Hans von Weber 1903 eine bibliophile Mappe Kubins herausgibt und dessen wahre Position freilegt aus dem spöttelnden Eis frostiger Überheblichkeiten. Die tief in den dunkleren Ecken der Seele gründelnden Werke sind zwar schwer zu veräußern, schlussendlich aber wird Kubins Rang in der phantastischen Kunst bisweilen über den Max Klingers gestellt. Den tiefliegenden Ursachen einer solchen sorgsam mit unzähligen Skizzen vorbereiteten Bildfindung mag heute besser begegnet werden können, in der Zeit um 1900 herum allerdings ist die Psychoanalyse oder ähnliche Therapieformen noch kein Taschentuch spendender Beistelltisch, in direkter Griffnähe zum behaglich umfassenden Patientensessel.
Kubins seelischer Auswurf ist eine Kaskade an enzyklopädischer Qual. Nichts scheint den träumend Erlebenden zu verschonen – Verwüstung, Krieg und Epidemien drücken schwer auf seine angstdurchwirkte Psyche. Wie zuvor bei Francisco de Goya durchwatet die wahnhafte Pein knietief die Szenarien; dessen Druckwerken entlehnt Kubin forsch die Darstellung des Horrors in Tiergestalt. Doch die durchaus auch satirisch gemeinte, mit animalischer Symbolik angereicherte Welt des Spaniers scheint Kubin zu klein, und so gräbt er sich tief ein in die Mythen um klassische Fabelwesen und deren infinite Kombinatorik an Körperteilen. Im krassen Gegensatz zu Goya allerdings sieht der Zeichner in der Abbildung des Weiblichen, vor allem des nackten Körpers, keine Lobpreisung der Schönheit, sondern nur eine weitere Quelle der ruchlosen Gefährdung. Wenn Louise Bourgeois ein Jahrhundert später mit der Skulptur „Maman“ ihrer Spinnen-Thematik größte Ausformulierung liefert, bildet die darin verborgene Mutterassoziation der Bildhauerin die exakt gegenteilige Verknüpfung von Wärme und Zuneigung zur Zeichnung Kubins.
Von Mary Shelley und Edgar Allan Poe über J.R.R. Tolkien bis hin zu Stephen King hat die Faszination des Schreckens viele Buchseiten durchstochen. Gerade weil Kubins Rezeption zur Jahrhundertwende eine derart brüske, sich abwenden müssende Position innewohnt, kann hier wunderbar abgetastet werden, wie sich der Umgang mit dem gräulichen Strom finsterer Gestalten der Tiefe oder, eher noch schlimmer, aus dem Unterbewusstsein heraus mit der Zeit wandelt und sich diese schrittweise gesellschaftliche Gewöhnung an diese dunklen Abgründe auf Kubins Werk zurückspiegelt. „Jede Nacht besucht uns ein Traum“ erzeugt als T-Shirt-Motiv einer zeitgenössischen Metal-Band eher hüstelnde Reaktionen. Im Kontext ihrer Entstehungszeit allerdings ist die sich entladende Strahlkraft dieser Spinnenfrau ungeheuerlich, und ihre angsteinflößende, ins Übermächtige ausufernde Dimension psychologisch gesehen Gänsehaut pur. Kubins Lebenswerk begleitet illustrierend sehr erfolgreich die phantastische Literatur des letzten Jahrhunderts und eröffnet damit auch ganz nebenbei, dass ein heute geborenes Kind mit den Monstrositäten vergangener Zeiten zu spielen weiß wie mit Legosteinen.
iir, october 2024