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francisco de goya
el sueño de la razón produce monstruos, 1797/99

aquatinta etching, 21,6 x 15,2 cm

while the others are dancing,
today’s sensor review spotlight is on:

francisco de goya

© museo de calcografía nacional, madrid

en
de

“god is dead, the lord is gone,” chirps the young and still-hopeful nina hagen in the cemetery, but that’s just how it is with unknowing heirs who eagerly harvest the fruits but don’t plant the tree. the almighty is a primal force that must be painstakingly refined, and in the heated debate over the shape and content of this endeavor, the followers of the enlightenment tear themselves apart. following the french revolution, the jacobins see the church as the seedbed of counter-revolution and with militant determination, filled with atheistic pride and anti-clerical vigor, strive to weaken the established church and advance de-christianization. with the civil religious cult of the supreme being, established in 1794, maximilien de robespierre replaces religion with the idea of a sociopolitical and spiritual force—albeit without further defining it. voltaire, philosopher and writer, moves on quieter feet and promotes the idea of the demiurge as a substitute for god—a clockmaker who creates the instrument but thereafter leaves the clock and its users to fend for themselves.

conviction and religious practice in the last decade of the 18th century plunge not only the french into a wild sequence of wig-tossing and worse. some linguists believe capricho derives from “capo” for head and “riccio” for curl, symbolizing the tangled locks and similarly tangled thoughts of a confused mind. goya’s analogy is the 43rd plate in his cycle los caprichos, a series of 80. ostensibly promoted as satirical and fantastical creations of a free spirit, the artist’s focused depiction of real-world truths carries an underlying threat—too vividly does the bitter truth creep out from under the humorously cloaked accusations of folly, abuse, and violence. sales of the capricho plates are sluggish; it’s dangerous to own such inflammatory pamphlets. fearing potential reprisals, the artist places the remaining portfolios, along with the printing plates, in the safekeeping of the spanish king.

the concept of reason unravels not only in disputes over its implementation. in the struggle for the right quoi faire, quills, bayonets, and the guillotine leave too many frenchmen literally headless—our spanish artist, who dreams of reason only in idealized form, cannot foresee these developments. after an unfortunate affair with the duchess of alba and a mysterious illness that leaves him completely deaf, the artist retreats from his courtly duties. inspired by the upheavals in france, he lays bare the absurdities and confusions of his homeland’s aristocracy and clergy in grotesque exaggeration. portraying himself as a dreamer of reason, he brings to life the nightmarish visions that haunt him in the face of spain’s realities. goya’s etchings depict not only the feverish escapades of his post-revolutionary neighbors but also those of an entire continent. in their desperate attempts to justify their seats of power, aristocratic or not, the ruling classes carry the very chairs they sit on atop their heads. lucrifacturi te salutant (they who seek profit salute you).

iir, november 2024

„Gott ist tot, the Lord ist fort,“ trällert die noch zukunftsgewisse, junge Nina Hagen auf dem Friedhof, aber so ist das nun mal mit den unbedarften Nachfahren, die zwar die Früchte freudig ernten wollen, den entsprechenden Baum aber nicht zu pflanzen haben. Der Allmächtige ist eine mühsam zu schleifende Urgewalt, und in der eifrig geführten Debatte um Form und Inhalt dieses Unterfangens zerstreiten sich die Anhänger der Aufklärung. In der Folge der Französischen Revolution sehen die Jakobiner die Kirche als Keimzelle der Konterrevolution und setzen alles daran, mit atheistisch stolz geschwelltem, antiklerikalem Stoße militant die etablierte Kirche zu schwächen, um so die Entchristianisierung voranzutreiben. Mit dem 1794 installierten, zivilreligiösen Kult des höchsten Wesens ersetzt Maximilien de Robespierre Religion durch die Idee einer soziopolitischen, spirituellen Macht, allerdings ohne nähere Definition derselben. Voltaire, Philosoph und Schriftsteller, pirscht auf leiseren Pantoffeln und preist die Idee des Demiurgen als Gottesersatz, des Uhrmachers, der zwar das Instrument erstellt, die Uhr und ihre Nutzer sich aber fürderhin selbst überlässt.

Glaubensüberzeugung und Religionsausübung stürzen im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts nicht nur die Franzosen in eine ungezügelte Abfolge von Perückenschubsereien und Schlimmerem. Capricho, so vermuten einige Sprachwissenschaftler, bildet sich aus „capo“ für Kopf und „riccio“ für kraus und steht so als Sinnbild der Locken eines wirren Kopfes und ebensolcher Gedanken. Goyas Analogie ist das 43. Blatt von 80 aus dessen Zyklus Los Caprichos. Vordergründig als satirisch-fantastische Findungen eines Freigeistes angepriesen, winkt aus des Künstlers fokussiertem Abbildungswillen, seiner bildnerischen Nähe zu realen Gegebenheiten, die Gefahr – zu sehr kriecht die bittere Wahrheit unter den als Humoreske getarnten Anklagen von Dummheit, Missbrauch und Gewalt hervor. Der Verkauf der Capricho-Blätter verläuft schleppend, denn es ist gefährlich, solch hetzerische Pamphlete zu besitzen. Mit der Unsicherheit möglicher Repressalien übergibt der Künstler die noch unverkauften Mappen samt dazugehöriger Druckplatten in die Obhut des spanischen Königs.

Der Begriff der Vernunft zerpflückt sich nicht nur im Streit um deren Umsetzung. Im Kampf um das richtige Quoi faire hinterlassen Schreibfedern, Bajonette und die Guillotine zu viele Franzosen buchstäblich kopflos – unser spanischer, von der Vernunft nur in idealisierender Form träumender Künstler kann diese Entwicklungen nicht erahnen. Nach einer unglücklich verlaufenden Affäre mit der Herzogin von Alba und einer mysteriösen Erkrankung, in deren Folge er völlig taub wird, zieht sich der Künstler von seinen Pflichten bei Hofe zurück. Aus den umwälzenden Entwicklungen der Franzosen saugt er die Inspiration, die aristokratischen und klerikalen Irr- und Wirrnisse seines Heimatlandes in grotesker Überzeichnung bloßzustellen. Sich als Träumer der Vernunft darstellend, vergegenwärtigt er die Horrorvisionen, die ihn ob der spanischen Zustände heimsuchen. Goyas Radierungen zeigen nicht nur die wahngleichen Eskapaden seiner postrevolutionären Nachbarn, sondern die eines ganzen Kontinentes. Im krampfhaften Versuch der Machthabenden, aristokratisch oder nicht, den Stuhl, auf dem sie sitzen, zu rechtfertigen, tragen sie diesen auf ihrem Kopf. Lucrifacturi te salutant.

iir, november 2024