giovanni anselmo
lato destro, 1970
photography, 32 x 23 cm
while the others are dancing,
today’s sensor review spotlight is on:
© lenbachhaus, münchen
in the nuanced distinction between being poor, feeling poor, or seeking an alternative to the excesses of modernity within the concept of ‘poverty,’ lies the foundation of the approach to germano celant’s term ‘arte povera’—whose most remarkable representative is giovanni anselmo. the south of italy has always been considered poor, and it is the southern italian cuisine that, through creative variations, manages to produce flavorful dishes from limited ingredients. anyone who thinks of cooking large, algae-covered stones in pasta water to extract their rich taste is a culinary survivalist. feeling poor is a painful memory attack—fortunate is the one who does not succumb to this internal turmoil. theater pioneer jerzy grotowski, on the other hand, delves deeply into the meaning of ‘poverty,’ freeing his stage from all that is superfluous and breathing life into this limited, poor theater entirely through the ritualization of the actors.
the europe of the 1960s can no longer keep its postwar promises, and amid the effects of the student movements, awareness and unrest wrestle with a cooling, unsteady conservatism. in this final, attention-seeking struggle, the theorist celant still sees a system to resist and shapes for his young compatriots a common, critical weapon to counter this appropriation. focusing on the moment, on the artist’s action with simple means, the demanding system is bypassed and thus disempowered. the poverty in ‘arte povera’ does not mean helplessness in the face of an opponent; on the contrary, it is david’s small stone that takes down goliath. bearing a literary-rich history of critique, subversion, and cynicism, giovanni anselmo, luciano fabro, michelangelo pistoletto, jannis kounellis, giuseppe penone, alighiero boetti, and many others take up the fight to show the world how to make dough with flour and water only.
‘lato destro,’ the label ‘right side’ placed on the left side but, due to the photograph’s reversal, is placed correctly for the viewer, is a genuine schoolboy joke that still deserves a laugh half a century after its creation. however, if one takes the political turmoil of early 1970s italy as a possible reference point, only a few overly eager individuals continue to chuckle—the association with tattooed letters and numbers quickly silences them. in a rapid experiment, in the search for critical balance, and with the confidence to attach a head of lettuce to a granite block with copper wire without collapsing in sheer laughter, anselmo gives the lame cow of the art scene a mighty tug by the tail. and yes, honestly, we’re still grinning.
iir, november 2024
In der feinen Unterscheidung, arm zu sein, sich arm zu fühlen oder im Begriff des „Armen“ eine Alternative zur Überfrachtung der Moderne zu suchen, verbirgt sich der Denkansatz zur Betrachtung des von Germano Celant geprägten Begriffs der „Arte Povera“ – dessen bemerkenswertester Vertreter Giovanni Anselmo ist. Der Süden Italien gilt schon immer als arm, und gerade die süditalienische Küche vermag in vielfältigen Variationen aus dem Wenig-Vorhandenen wohlmundende Speisen auf den Tisch zu zaubern. Wer die Idee ersinnt, große, mit Algen überzogene Steine im Pastawasser mitzukochen, um deren reichen Geschmack zu extrahieren, ist ein kulinarischer Überlebenskünstler. Sich arm zu fühlen ist eine schmerzhafte Attacke der Erinnerung – wohl dem, der dieser internen Aufruhr nicht unterliegt. Der Theaterpionier Jerzy Grotowski hingegen gräbt sich tief in die Bedeutung des „Armen“, indem er mit seinen Inszenierungen die Bühne von allem Überflüssigen befreit und dieses beschränkte, arme Theater ganz durch eine Ritualisierung der Schauspieler zum Leben erweckt.
Das Europa der 60er-Jahre kann die Nachkriegsversprechen nicht mehr halten, und in den Folgen der studentischen Bewegungen ringen Bewusstsein und Unruhe mit einem erkaltenden, nicht mehr sattelfesten Konservatismus. In diesem letzten, Aufmerksamkeit erheischenden Aufbäumen erkennt der Theoretiker Celant noch immer ein System, dem es sich zu erwehren gilt, und formt seinen jungen Landsmännern eine gemeinsame, kritische Waffe, sich dieser Vereinnahmung zu entziehen. In der Fokussierung des Moments, der Aktion des Künstlers mit einfachen Mitteln, wird das System, das Fordernde, umgangen und somit entmachtet. Das Arme in „Arte Povera“ meint nicht Hilflosigkeit im Angesicht des Gegners; im Gegenteil, es ist Davids kleiner Stein, der Goliath erledigt. Mit einer literarisch reichen Historie an Kritik, Subversion und Zynismus geschultert, ziehen Giovanni Anselmo, Luciano Fabro, Michelangelo Pistoletto, Jannis Kounellis, Giuseppe Penone, Alighiero Boetti und noch eine ganze Reihe mehr in den Kampf, der Welt zu zeigen, wie man mit Mehl und Wasser den Teig anrührt.
„Lato destro“, die auf der linken Seite stehende Bezeichnung „rechte Seite“, durch den Seitenwechsel der Fotografie für den Betrachter wiederum auf der richtigen Seite angebracht, ist ein veritabler Schülerwitz, der auch ein halbes Jahrhundert nach seiner Entstehung den Lacher wohl verdient. Nimmt man hingegen die politischen Wirren der beginnenden 70er in Italien als möglichen Referenzpunkt, kichern schon ein paar Übereifrige weniger – die Assoziation zu tätowierten Buchstaben und Nummern lässt prompt verstummen. Im raschen Experiment, bei der Suche nach kritischer Balance und mit der selbstsicheren Überzeugung, beim Befestigen eines Kopfsalates an einen Granitblock mittels Kupferdraht nicht wiehernd zusammenzubrechen, zieht Anselmo die lahmende Kuh der Kunstszene mächtig am Schwanz. Und ja, ganz ehrlich, wir grinsen immer noch.
iir, november 2024