henri matisse
porte-fenêtre à collioure, 1914
oil on canvas, 116,5 x 89,2 cm
while the others are dancing,
today’s sensor review spotlight is on:
© centre pompidou, paris
to the guardians of the chapelle de la sorbonne in paris, the specter sends shivers down their spines, for the pale bones of cardinal richelieu, along with the mourning statues at his tomb, celebrate one grand feast after another. his public interest, guided by reason, to break the power of the habsburgs, lies within reach, and champagne flows in torrents. it is the year 1914, the austrian heir to the throne is assassinated, and richelieu’s plan unfolds after three centuries with the end of the first world war. in july 1914, austria-hungary declares war on serbia, the german empire unsheathes its saber against russia, then france, marches through belgium and luxembourg to attack it from the northeast, and takes the imminent arrival of the english into account. 9 million dead soldiers and 6 million civilians later, this war, described as “the great seminal catastrophe of this century,” will mark the end of all european empires, not just that of the habsburgs.
but the scale of the catastrophe is still far off, and all participants joyfully march into battle, under the delusion that with a wham here and a bang there, they will return home victorious. in october of that year – the germans take antwerp and ghent, then bruges – matisse brings an unfinished painting back to paris. porte-fenêtre à collioure depicts, uniquely in his work, with clear and definitive, surface-demanding black space at the onset of misery, what few may sense and none dare imagine. the painting shows a view from an interior onto an open balcony window. the darkness of the night is impenetrable; only over time does one realize that no light enters, but neither does any escape. door threshold and wings form the boundary for a black, silent rectangle. matisse’s ever-present urge throughout his oeuvre to invite line, surface, and ornament to dance finds no expression here. matisse’s path is rocky, his later fame hard-won, and the audience unwilling and unprepared to follow the allure of his unique artistic vision.
in 1905, paul cézanne is a god, the impressionists are allowed anything amid applause, and henri matisse’s style is mocked at the salon d’automne—but worse is to come. in 1908, the berlin art dealer paul cassirer exhibits the frenchman’s work, only for it to be derided as gingerbread painting amid general laughter. the insulted painter removes his paintings before the exhibition’s conclusion and leaves in anger. a second show in the german capital is arranged at the war’s onset, and dozens of the loans take years to return to their owners. the war ends in 1918, and a new, friendly rivalry is born: matisse – picasso, the time is ripe. porte-fenêtre à collioure, inscribed on its reverse with the dedication “for louis aragon,” receives a response from the founder of surrealism in 1971 in the form of a candid, two-volume novel born of a lifelong yet cautiously begun friendship. the title: henri matisse.
iir, december 2024
Den Wächtern der Chapelle de la Sorbonne in Paris fährt der Spuk mächtig in die Glieder, denn die bleichen Gebeine des Kardinal Richelieus mitsamt den ihn betrauernden Grabesstatuen feiern ein rauschendes Fest nach dem anderen. Dessen öffentliches Interesse, von Vernunft geleitet, die Macht der Habsburger zu brechen, liegt in greifbarer Nähe, und der Champagner fließt in Strömen. Wir schreiben das Jahr 1914, der österreichische Thronfolger wird ermordet und Richelieus Plan vollzieht sich nach drei Jahrhunderten mit der Beendigung des Ersten Weltkrieges. Im Juli 1914 erfolgt die Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien, das Deutsche Kaiserreich zieht den Säbel gegen Russland, dann Frankreich, marschiert über Belgien und Luxemburg, um dieses von Nordosten anzugreifen, und nimmt die nun herbeieilenden Engländer in Kauf. 9 Millionen tote Soldaten und 6 Millionen Zivilisten später wird dieser als “The Great Seminal Catastrophe of This Century” bezeichnete Krieg das Ende aller europäischen Kaiserreiche sein, nicht nur das der Habsburger.
Aber noch ist das Ausmaß der Katastrophe in weiter Ferne, alle Beteiligten ziehen freudig in die Schlacht, im irrigen Glauben, mit einem Piff hier und einem Paff dort siegreich wieder nach Hause zu gelangen. Im Oktober des Jahres – die Deutschen nehmen Antwerpen und Gent, dann Brügge – bringt Matisse ein noch unfertiges Bild zurück nach Paris. Porte-Fenêtre à Collioure zeichnet, einzigartig in seinem Werk, in klarem und eindeutigem, Fläche fordernden schwarzem Raum zu Kriegsbeginn vor, was wenige erahnen mögen und keiner anzudenken wagt. Das Bild zeigt einen Blick aus einem Innenraum auf ein geöffnetes Balkonfenster. Das Dunkel der Nacht ist undurchdringlich, wohl bemerkt man erst mit der Zeit, dass kein Licht hereinfällt, aber auch keines nach außen dringt. Türschwelle und -flügel bilden die Umgrenzung für ein schwarzes, stilles Rechteck. Matisses sich durch sein gesamtes Werk schlägelnder Drang, Linie, Fläche und Ornament zum Tanz aufzufordern, findet keine Formulierung. Matisses Weg ist steinig, sein späterer Ruhm mühsam erkämpft, und das Publikum ist unwillig und nicht bereit, den Lockungen seiner bildnerischen Eigenart zu folgen.
Im Jahre 1905 ist Paul Cézanne Gott, die Impressionisten dürfen sich unter Jubel alles erlauben, und Henri Matisses Stil wird im Salon d’Automne verspottet – aber es kommt noch schlimmer. 1908 stellt der Berliner Kunsthändler Paul Cassirer den Franzosen aus, zu aller Gelächter als Pfefferkuchenmalerei verschrien. Gekränkt hängt der Maler seine Bilder vor Beendigung der Ausstellung wieder ab und trollt sich. Eine zweite Schau in der deutschen Hauptstadt ist zu Kriegsbeginn arrangiert, und dutzende der Leihgaben brauchen Jahre, um wieder den Weg zu ihren Eigentümern zu finden. Der Krieg ist 1918 dann zu Ende, und ein neuer, freundschaftlicher Wettstreit wird geboren: Matisse – Picasso, die Zeit ist reif. Porte-Fenêtre à Collioure trägt auf der Rückseite die Widmung “Für Louis Aragon”, und der Surrealismusbegründer wird 1971 nach einer zaghaft beginnenden, aber lebenslangen Freundschaft mit einem zweibändigen, offen geschriebenen Roman antworten. Der Titel: Henri Matisse.
iir, december 2024