
jacques tardi & léo malet
120, rue de la gare, 1988
graphic novel series
while the others are dancing,
today’s sensor review spotlight is on:

© casterman
will eisner, with his 1978 work a contract with god, is the original inventor of the graphic novel, where the city itself gains a new and pivotal role. however, it is the dream combination of léo malet’s crime novels, set in various parisian arrondissements, and jacques tardi’s brilliant urban adaptation that transforms a previously background scenery into a protagonist integral to the plot. tardi’s pen, drawing from meticulously researched original images, brings boulevards, train stations, and repeatedly the banks of the seine to life as a tangible stage for malet’s sophisticated and intricately woven narratives. initially hesitant about the idea, tardi’s depiction of the hero nestor burma—a mix of jean gabin and lino ventura with prominent ears—convinces the former surrealist and anarchist finally. from vagabond to employee and finally journalist and author under various pen names, the prolific writer processes his rich experiences from the 1930s and 1940s in the city of musette and petty criminals.
tardi’s world is profoundly shaped by the harrowing stories of his grandmother, whose recurring accounts of the trenches of world war I leave a lasting impression on the young boy. as a student first in lyon and then in paris, the budding artist witnesses the unrest of the 1960s and, also influenced by his military service, remains a lifelong critic of the state and especially of war. with the series adèle’s unusual adventures, he makes a name for himself in the world of comics, elevated to the “ninth art.” borrowing from jules verne’s fantastical imagination, tardi transports the belle époque into a dark, mystically twisted mélange full of revived pterosaurs, demons, and other wondrous creatures from pulp novels. 120, rue de la gare is the second volume in the nestor burma graphic novel series, set during the german occupation of paris. a mysterious man without memory, whom burma meets in a prisoner-of-war camp, sets off wild turmoil involving pearls, thieves, and treacherous lawyers.
tardi’s black-and-white ink universe gains its distinctive and immediately recognizable flair through the addition of a gray tone. as a great fan of hergé’s tintin, he manages to avoid letting the overall scenario become subservient to any autonomous linework, thereby creating a finely vibrating yet compressed realism. mallet’s historically informed, whodunit-style narratives, interwoven in recurring loops befitting the crime genre, heat the plot with a quiet but no less effective intensity toward a sobering resolution. paris, the city of lurking dread, distilled in scenarios of perpetually gray, rain-soaked loops endlessly walked, finds its deconstructive and explanatory answer right here—on the street. the stumblingly staged, explanation-seeking, and ultimately redeemed longing of the involved characters seeks a final end, following the eternal course of water and vanishing into the gutters of history. the city may not care, but the story is compellingly told.
iir, january 2025
Will Eisner ist mit seinem 1978 erschienenen Werk A Contract with God der ursprüngliche Erfinder der Graphic Novel, in der die Stadt als solche eine neue und tragende Rolle erfährt. Aber erst die Traumkombination aus Léo Malets verschiedene Pariser Arrondissements bespielender Kriminalromane und die brillante urbane Umsetzung Jacques Tardis wandelt eine bis dato im Hintergrund verbleibende Szenerie in einen handlungstragenden Protagonisten. Des Zeichners Feder erweckt aus detailliert recherchierten Originalabbildungen Boulevards, Bahnhöfe und immer wieder die Ufer der Seine zu einer leibhaftigen Spielstätte der literarisch hochwertig und feinsinnig verstrickten Vorlagen Malets. Anfänglich der Idee eher reserviert gegenübertreten, ist es gerade auch die Darstellung des Helden Nestor Burma, dessen segelohrige Mischung aus Jean Gabin und Lino Ventura den Surrealisten und Anarchisten überzeugt. Vom Clochard zum Angestellten und schließlich Journalist und Autor unter verschiedenen Noms de Plume, verarbeitet der Vielschreiber seine reichhaltigen Erfahrungen der 30er- und 40er-Jahre aus der Stadt der Musette und kleinen Ganoven.
Tardis Welt wird durch die tief erschütternden Erzählungen seiner Großmutter eingehend geprägt, deren immer wiederkehrende Schilderungen der Schützengräben des Ersten Weltkrieges den kleinen nachhaltig verstört. Als Student zunächst in Lyon, dann in Paris, ist der angehende Künstler Zeuge der dortigen Unruhen der 60er-Jahre und wird zeitlebens, auch geprägt durch seinen Militärdienst, ein dem Staat und vor allem dem Krieg kritisch gegenüberstehender Autor bleiben. Mit der Reihe Adèles ungewöhnliche Abenteuer macht er sich einen Namen in der zur „neunten Kunst“ erhobenen Welt des Comics. Mit einer der Fantastik Jules Vernes entlehnten Erfindungsgabe überführt Tardi die Zeit der Belle Époque in eine düstere, mystisch-futuristisch verdrehte Melange voller wiederbelebter Flugsaurier, Dämonen und anderer Trivialromanen entsprungener Wunderwesen. 120, Rue de la Gare ist der zweite Band aus der Nestor-Burma-Graphic-Novel-Reihe, die während der Besatzung der Deutschen in der französischen Hauptstadt spielt. Ein mysteriöser Mann ohne Gedächtnis, den Burma in einem Kriegsgefangenenlager kennenlernt, bildet den Auftakt für wilde Turbulenzen um Perlen, Diebe und hinterhältige Anwälte.
Das schwarz-weiße Tuscheuniversum Tardis erhält durch die zusätzliche Unterlegung mit einem Grauton dessen typisches und umgehend wiedererkennbares Flair. Als großer Fan Hergés Tintin gelingt es ihm, das Gesamtszenarium nicht einer sich verselbstständigenden Linie unterzuordnen und so einen fein vibrierenden und doch komprimierten Realismus zu erzeugen. Malets zeitgeschichtlich aufbereitete und entsprechend dem Medium Krimi in immer wiederkehrenden Schleifen eingewobenes „Whodunit“ heizt den Plot auf leiser, aber nicht minder effektiver Flamme hin zur ernüchternden Auflösung. Das Paris des lauernden Grauens, kondensiert im Szenario des ewig grauen Ablaufens längst vergangener dauerverregneter Strecken, findet seine demontierende und erklärende Antwort genau hier – auf der Straße. Das stolpernd inszenierte, um Erklärung bemühte und schließlich erlöste Sehnen der beteiligten Akteure sucht ein finales Ende, das dem ewig gleichen Weg des Wassers folgt und in den Rinnsteinen der Geschichte entschwindet. Der Stadt ist dies wohl egal, aber die Geschichte ist bestechend erzählt.
iir, january 2025