otto dix
bildnis der journalistin sylvia von harden, 1926
oil & tempera on wood, 121 x 89 cm
while the others are dancing,
today’s sensor review spotlight is on:
© centre georges pompidou
a woman is approached by a stranger on the street who tells her he wants to paint her. she reacts calmly, reasoning that her features are atypical and highly individual, but the man insists. otto dix will go on to portray her, arguing that she represents an entire era. yet sylvia von harden shows only one facet of dix’s perspective on a deeply turbulent time. she symbolizes the emerging, flourishing middle class of the weimar republic, which, with the end of the first world war and the imperial regime, gives the nation a new face. but dix also depicts the losers of this madness: the crippled, the beggars, and all the other human debris left behind by the old order, indifferent and spiteful. the upper class, self-absorbed behind their bloated profiteer grins alongside their matching wives, will later be deeply outraged by how dix unveils the decadent absurdity of their swinging twenties soirées. no one captures the thin veneer of pomade, hovering deceptively over everything, as elegantly and seductively as otto dix.
with the victory of the nsdap in 1933, the brief moment of joy is over, and the conservative call for past order prevails. in a reckless yearning for familiar power structures, hitler’s party, driven by territorial fantasies, turns back the clock, failing to learn from the mistakes of the past. the end of otto von bismarck’s measured diplomacy and his dismissal in 1890 paves the way for a more reckless german foreign policy, with the politically inept and incorrigible new kaiser wilhelm II blindly, confidently, but unsuccessfully leading his nation into the great war in 1914. the weimar republic becomes a time of experimentation, while the reactionary segment of the population watches this provocative behavior with far more than disapproving glances. the war was long and draining, its repressive aftermath weighing heavily on the people, but they are young and willing, so they throw themselves into the wild carousel of the era.
dix moves from dresden to düsseldorf and then to berlin, transforming from a dadaist into a representative of new objectivity and finally becoming a professor at the dresden art academy in 1927. dismissed by the new rulers as one of their first acts, he eventually retreats to lake constance. in 1939, following the assassination attempt on adolf hitler in munich, dix is arrested by the gestapo, after which he fully withdraws into himself. the days of asking a young representative of berlin’s bohemian scene to pose for a portrait are long gone, but the painting survives the horrors of history and stands as remarkable testimony to an alternative vision of german culture. sylvia von harden’s self-description of her “dull eyes, ornamental ears, long nose, and thin lips, along with long hands, short legs, and large feet” is enthusiastically exaggerated further by the painter, adding yet another handful of distortions. after all, that’s how these days feel—just a little more never hurts.
iir, january 2025
Eine Frau wird auf offener Straße von einem Fremden angesprochen, er wolle sie malen. Sie reagiert gelassen, argumentiert mit ihren untypischen, sehr individuellen Zügen, aber der Mann insistiert. Otto Dix wird sie porträtieren mit dem Argument, sie repräsentiere eine ganze Epoche. Aber Sylvia von Harden zeigt nur eine der Facetten von Dix’ Blick auf eine sehr aufgewühlte Zeit. Sie steht für eine sich in der Weimarer Republik entfaltende, blühende Mittelschicht, die mit dem Ende des Ersten Weltkrieges und des Kaiserlichen Reiches dem Land ein neues Gesicht gibt. Dix stellt aber ebenso die Verlierer dieses Wahnsinns dar: die Krüppel, Bettler und all den anderen menschlichen Abfall, den die alte Zeit hinterlassen hat, schuldunwillig und hämisch. Gerade die Oberschicht, selbstversunken hinter ihrem fetten Kriegsgewinnlergrinsen nebst entsprechenden Gattinnen, wird sich später schwer erbost zeigen, wie der Maler ihre dekadenten Swinging-Twenties-Abendveranstaltungen in verkommener Lächerlichkeit entblättert. Niemand bildet die dünne Pomade, die über allem zu schweben scheint, so elegant verführerisch ab wie Otto Dix.
Mit dem Sieg der NSDAP 1933 ist das kurze Glück Geschichte, und der konservative Ruf nach vergangener Ordnung obsiegt. Im unbesonnenen Herbeisehnen bekannter Machtstrukturen dreht die Hitler-Partei mit territorialen Anspruchsfantasien die Zeit zurück, ohne aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Mit dem Ende besonnener Diplomatie des Reichskanzlers Otto von Bismarck und dessen Absetzung 1890 wird der Weg frei für eine risikofreudigere deutsche Außenpolitik, und der politisch unbegabte, unbelehrbare neue Kaiser Wilhelm II wird infolgedessen blindlings und siegesgewiss, aber glücklos sein Land in den Großen Krieg 1914 führen. Die Weimarer Republik ist eine Zeit der Experimente, wohl ahnend, dass der reaktionäre Anteil der Bevölkerung dieses verwerfliche Treiben mit mehr als nur einem missbilligenden Blick beobachtet. Der Krieg war lang und zehrend, die repressiven Folgen lasten auf den Menschen, aber man ist jung und willens, also gibt man sich dem wilden Karussell hin.
Dix zieht es von Dresden über Düsseldorf nach Berlin. Aus dem Dadaisten wird ein Vertreter der Neuen Sachlichkeit und schließlich 1927 Professor an der Kunstakademie in Dresden. Von den neuen Machthabern als einer der ersten entlassen, findet er schließlich am Bodensee ein stilles Domizil. Anlässlich des Münchner Attentates auf Adolf Hitler wird er 1939 von der Gestapo verhaftet und zieht sich infolgedessen gänzlich in sich zurück. Die Zeiten, eine junge Vertreterin der Berliner Bohème um ein Porträt zu bitten, liegen weit in der Vergangenheit, aber das Bild überlebt die Schrecknisse der Geschichte und gibt wunderbares Zeugnis einer alternativen Version deutscher Kultur. Sylvia von Hardens Selbstbeschreibung ihrer “glanzlosen Augen, verschnörkelten Ohren, ihrer langen Nase und dünnen Lippen, neben langen Händen, kurzen Beinen und großen Füßen” wird der Maler freudig noch eine Handvoll weiterer Überzeichnungen hinzufügen – Denn so fühlen sich diese Tage an … ein bisschen mehr kann nie schaden.
iir, january 2025