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the good page
this episode:
claude sautet
cinéaste
1924 – 2000

the melancholy of the inevitable

2025

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claude sautet
en
de

it is the middle-aged lion, the crown of the animal kingdom, whose mane is slowly slipping away—only to gather all the more menacingly across chest and shoulders. there he stands, in a ribbed undershirt, his gleaming eyes rolling beneath bushy brows in quiet observation of the great migration of his own body hair. michel piccoli, the rutting predator in themroc—staggering amid the acts he has neglected and the ones he’d rather leave undone. les choses de la vie, the true beginning of sautet’s cinematic language, plays with the “ifs” and “might haves” of a love between a bonded, divided couple, as only a sculptor can handle it—subtracting, like stone from which a form is carved, and adding, like clay that must first accumulate before it becomes an object. sculpture, sautet surely studies, and it remains his formal approach to cinema. the man of hesitation, orchestrated down to the tiniest brilliance, is no juggler of grand words—and precisely because in his sharply rendered omissions we blindly trace the trivialities of our own lives, we contribute our blurred-out details into the film, completing it internally. we slowly peel the aging apple that quietly folds into wrinkles, recognizing a little too much and too little here, a coming and going there—love, money, the silent existential crisis of midlife reaches for the next gauloise and another glass of red, please, garçon…

to the leaden, fassbinder-soured german critics, this feels too thin, too kitschy. françois truffaut recognizes france strikingly portrayed here, jean-pierre melville loudly agrees, yet the cahiers du cinéma remain grumpily reserved. portraying omission in a feature film is not done merely by omission, and so sautet, together with screenwriter jean-loup dabadie and philippe sarde’s compositions, envelops the absent-minded gaze and ties it firmly to the gesture that follows. the protagonists of the 70s films by this reflective filmmaker—born between the two world wars—are all too aware of the weight of their existence and its corresponding philosophy, and slowly, despite all loudly proclaimed, fighting utopias, they slide down the walls of their consciously unconscious limits. a letter, written but never sent; a wish, thought but never spoken—melancholy finds countless ways to break over us. and not only les choses de la vie overlays our quiet decisions with creeping doubt. michel piccoli, yves montand, claude brasseur, and again and again romy schneider—whose sissi gowns sautet brilliantly swaps for the modern coverings of a woman, even if it’s just a towel—revive our speechlessness with silence, as we quietly experience vincent, françois, paul … et les autres or une histoire simple.

even the little is too much for the hesitant brooder, and so in older age he pinches away full minutes from his films here and there—much to the dismay of his analysts, whose painstaking constructions now face serious structural concerns. “films are meant to be felt,” says the master—but is that it, is that really all for the pre-yoga-wellness generation of the 70s—alone within, amid a boisterous crowd of tipsy friends at a bistro or on the way to the next restaurant? the melancholic, event-resigned subtlety is followed half a century later by a mix of defiant indifference and stoic self-optimization. furthermore, the aging population now yields to a media focus on the challenges of younger generations, whose journeys of self-discovery and questioning resemble those of others, but—logically—follow different rhythms at the start of life than in its middle. sautet’s sensitively amazed, at times timidly accepting framing of quiet despair is a failure of including the “you” in the “i,” and a visualizing of the missing interactive interlocks inbetween. the precise explorer of psychological depths describes this adventure with an iceberg, whose true size only reveals a fifth of itself. seen this way, little has changed in fifty years, for we must witness daily how the captains of the titanics around us cheerfully steer, one after another, toward ice masses—if only out of uncontrolled rage.

iir, may 2025

Es ist der mittelalte Löwe, die Krone des Tierreiches, dem die Zierde des Haupthaares langsam entgleitet – nur um sich umso mehr bedrohlich auf Brust und Schulter zu sammeln. So steht er nun da, im Doppelripp-Unterhemd, unter seinen buschigen Augenbrauen rollen die blitzenden Augen in der stillen Betrachtung der Völkerwanderung seiner eigenen Körperbehaarung. Michel Piccoli, das brünftige Raubtier in Themroc – wankend inmitten seiner unterlassenen Taten und der Dinge, die er lieber ungetan ließe. Les choses de la vie, der eigentliche Anfang sautetscher Filmsprache, spielt mit den „Hätte“ und „Wenns“ einer Liebe eines verbunden-entzweiten Paares, wie dies nur ein Bildhauer handhaben kann – subtrahierend, wie der Stein, aus dem die Form herausgearbeitet wird, und addierend, indem sich der angehäufte Ton erst zum Objekt bilden muss. Die Bildhauerei hat Sautet wohl studiert, und sie bleibt ihm als formaler Zugang zum Kino erhalten. Der Mann des bis ins Kleinste brillant inszenierten Zögerns ist kein Jongleur großer Worte – und gerade weil wir in seinen gestochen scharfen Auslassungen die Nichtigkeiten unseres Alltags blindlings mitzeichnen, addieren wir die defokussierten Details unseres Daseins mit in den Film, um ihn so – verinnerlicht – zu vollenden. Den sich leise in Falten legenden Apfel des Alterns schälen wir langsam mit, erkennen ein Zuviel und Zuwenig hier, ein Kommen und Gehen dort. Liebe, Geld, die schweigsame Sinnkrise der Lebensmitte greift zur nächsten Gauloise – und noch ein Glas Roten, bitte, Garçon …

Der bleischwer, Fassbinder-angesäuerten deutschen Kritik ist das zu dünn, zu kitschig, François Truffaut erkennt hier Frankreich treffsicher porträtiert, Jean-Pierre Melville stimmt dem lautstark zu – aber auch die Cahiers du cinéma verhalten sich zurückhaltend maulig. Das Unterlassene in einem Spielfilm darzustellen gelingt nicht nur durch Unterlassung, und so umgarnt Sautet – im Team mit Drehbuchautor Jean-Loup Dabadie und Philippe Sardes Kompositionen – den gedankenverlorenen Blick und zieht ihn fest mit der darauf folgenden Geste zusammen. Die Protagonisten der 70er-Jahre-Filme des nachdenklichen Filmschaffenden – geboren zwischen den beiden Weltkriegen – sind sich der Schwere ihrer Existenz und deren entsprechender Philosophie nur allzu bewusst und gleiten, entgegen aller herzhaft ausgerufenen, kämpferischen Utopien, ganz langsam an den Wänden ihrer bewusst unbewussten Grenzen zu Boden. Ein Brief – geschrieben, aber nicht abgeschickt, ein Wunsch – gedacht, aber nicht geäußert – die Melancholie findet viele Anlässe, über uns herzubrechen, und nicht nur Les choses de la vie belegt unsere stillen Entscheidungen mit schleichendem Zweifel. Michel Piccoli, Yves Montand, Claude Brasseur – und immer wieder Romy Schneider, deren Sissi-Kleidchen Sautet brillant vertauscht in die modernen Ummantelungen einer Frau, und sei es nur ein Badetuch – beleben unsere Sprachlosigkeit mit Stille, während wir Vincent, François, Paul … et les autres oder Une histoire simple schweigend miterleben.

Selbst das Wenige ist dem zaudernden Grübler zu viel, und so zwickt und zwackt er in reiferem Alter hier und da noch ganze Minuten aus seinen Filmen – sehr zum Entsetzen seiner Analytiker, deren mühevolle Konstruktionen sich nun ernsthafter Statikprobleme gegenübersehen. Filme soll man fühlen, so der Meister, aber war es das? Ist das schon alles für die Prä-Yoga-Wellness-Generation der 70er – allein in sich, inmitten einer johlenden Horde angetrunkener Freunde im Bistro oder auf dem Weg ins nächste Restaurant? Der schwermütigen, ereignisergebenen Leisetreterei folgt ein halbes Jahrhundert später eine Mischung aus trotziger Indifferenz und stoischer Selbstoptimierung. Zudem weicht das alternde Volk heute einer medialen Fokussierung auf die Problemstellungen jüngerer Generationen, deren Selbstfindungsprozesse und Hinterfragungen denen der anderen zwar ähneln, zu Beginn des Lebens aber logischerweise anderen Rhythmen folgen als in der Mitte desselben. Sautets sensibel staunende, mitunter verzagt hinnehmende Kadrierung stiller Verzweiflung ist ein Scheitern der Inkludierung des „Du“ im „Ich“ und Sichtbarmachung fehlender interaktiver Verzahnungen des Miteinanders. Der zielgenaue Erforscher psychischer Untiefen beschreibt dieses Abenteuer mit einem Eisberg, dessen wahre Größe sich nur zu einem Fünftel offenbart. So gesehen hat sich in fünfzig Jahren wenig geändert – denn wir müssen täglich miterleben, wie die Kapitäne der uns umschiffenden Titanics munter, einer nach dem anderen, auf Eismassen zusteuern, und sei es nur aus unkontrolliertem Zorn.

iir, may 2025

michel piccoli

michel piccoli in les choses de la vie, 1970

 

garder le calme !!! avant la dissonance !!!

claude sautet