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lee ufan
relatum – momentum, 2019

steel, glass & stone, 2.1 × 320 × 250 cm & 63 × 42.1 × 62.1 cm

while the others are dancing,
martin eugen raabenstein’s
sensor spotlight focuses on:

lee ufan

© lee ufan & lisson gallery

en
de

in his essay l’empire des signes,‘roland barthes praises the sensual reading of the traditional japanese poetry form, haiku, which is precisely defined by its syllable count and typically by the sequence of word groups. the haiku is meant to be short, open, concrete, and present; nature and the seasons are essential components of the contemplation experienced through reading. in contrast to the western, scientifically rational domination of nature, the eastern approach is intuitive. japanese people are surrounded by symbolic representations of nature in their living spaces, clothing, and in the design of food packaging, even samurai carry stylized plant and tree species on their crests. in all daily situations, they are imbued with a historically cultivated love of nature, even though this may have visibly declined since the meiji era. in a blend of shintō, buddhism, and chinese influences, nature does not appear as something other but rather as a revelation perceived as childlike and primordial. amidst a whirl of reverence and fear, one encounters the plurality of gods, this nature religion permeates the flourishing manga and anime culture since the 1970s, as exemplified by the oscar-winning studio ghibli classic spirited away.

whether river, shrub, or stone, everything can be a temporary manifestation of a god, as we learn here, and we should avoid offending them if possible. in japanese landscape architecture, zen gardens, or the art of suiseki, a particularly shaped stone is highlighted and honored through deliberate positioning. with the end of the tokugawa shogunate in the mid-19th century and the resurgence of a militaristic, nationalist empire, shintō receds from focus until japans defeat in world war ii. not only here, defeated by the americans, a fierce student protest starts against this war in vietnam, which is partly conducted from u.s. bases stationed there. the land art movement that emerges in the 1960s is also critically questioned, and particularly the artist and theorist lee ufan formulates a philosophically grounded counter-position. instead of penetrating nature with further constructed artifacts, the mono-ha movement, co-founded by ufan, advocats a return to traditional expression and a corresponding relationship between viewer and object. unlike the prevailing western trends of minimalism or arte povera, the artwork should not be made, and the individual handwriting of its creator be receded.

the initially derogatory term school of things comes to describe a loosely connected japanese-korean artist community, which only coalesces into an artistic style as a result of this critique. in this work, lee ufan places a stone on a glass plate, while this action actively influences the relationship between the two materials, the components of the artwork, in the mono-ha sense, remain unprocessed. in the 2019 relatum – momentum, the crystalline material symbolizing human culture shatters under the weight of the natural stone placed on top, reflecting the ceiling of the exhibition space. it is the viewer who draws individual insights from this apparent intervention, according to their respective cultural and spiritual sensibilities. begun in 1968, this relatum titled series of works conveys the transformation of the materials used into an inherently aesthetic structure without craft manipulation or further connotation – as humorously illustrated by maurizio cattelan’s pope dragged down by a stone. in a way, it is precisely this lack of self-irony or any form of inherently exaggerated stance that may distance ufan’s position. so there it stands, the western childlike soul, able to smile only when told so.

iir, january 2025

In seinem Essay L’Empire des signes preist Roland Barthes die sinnliche Lesart der traditionellen japanischen Gedichtform Haiku, exakt festgelegt in Silbenmenge und zumeist der Abfolge von Wortgruppen. Der Haiku soll kurz, offen, konkret und gegenwärtig sein. Natur und Jahreszeit sind wesentliche Bestandteile der durch das Lesen zu erfahrenden Betrachtung. Im Gegensatz zur westlichen, wissenschaftlich-rationalen Naturbeherrschung ist der östliche Zugang intuitiv. Japaner umgibt die symbolisierte Naturdarstellung im Wohnbereich, auf der Kleidung und selbst in der Gestaltung von Nahrungsverpackungen. Auch die Samurai tragen auf ihren Wappen stilisierte Pflanzen- und Baumarten. In allen alltäglichen Situationen sind sie von einer historisch gewachsenen Naturliebe durchdrungen, auch wenn diese seit der Meiji-Zeit einen offensichtlichen Niedergang erleben mag. In einer Mischung aus Shintō, Buddhismus und chinesischen Einflüssen tritt Natur nicht als ein Anderes in Erscheinung, sondern beinhaltet vielmehr eine als kindlich und ursprünglich empfundene Offenbarung. Im Wirbel zwischen Verehrung und Furcht tritt man der Vielheit der Götter gegenüber, und gerade die seit den 70er Jahren aufblühende Manga– und Animekultur ist durchdrungen von dieser Naturreligion, wie man am Beispiel des oskargekrönten Studio-Ghibli-Klassikers Spirited Away staunend erfahren darf.

Ob Fluss, Strauch oder Stein – alles kann eine temporäre Erscheinungsform eines Gottes sein, so lernen wir hier, und sollten tunlichst vermeiden, diese gegebenenfalls zu verärgern. Ob in der japanischen Landschaftsarchitektur, den Zengärten oder in der Kunst des Suiseki wird ein besonders geformter Stein durch gezielte Positionierung hervorgehoben und gewürdigt. Mit der Beendigung des Tokugawa-Shogunates Mitte des 19. Jahrhunderts und dem Wiedererstarken eines kriegstüchtig-nationalistischen Kaiserreiches tritt Shintō bis zu dessen Niederlage im Zweiten Weltkrieg aus dem Fokus. Nicht nur im von den Amerikanern besiegten Japan regt sich von studentischer Seite heftiger Protest gegen deren Krieg in Vietnam, der unter anderem auch von dort stationierten US-Basen aus geführt wird. Auch die in den 60er Jahren aufkommende Land Art wird kritisch hinterfragt, und vor allem der Kunsttheoretiker und Künstler Lee Ufan formuliert seine philosophisch unterlegte Gegenposition. Anstatt in die Natur mit nur weiteren, konstruierten Artefakten vorzudringen, steht die von Ufan mitbegründete Mono-ha-Bewegung für eine Rückbesinnung auf traditionellen Ausdruck und eine entsprechende Beziehung zwischen Betrachter und Objekt. Im Gegensatz zu den gängigen westlichen Strömungen des Minimalismus oder der Arte Povera soll das Kunstwerk nicht gemacht sein, und die individuelle Handschrift seines Erschaffenden so zurücktreten.

Die anfänglich abwertend gemeinte Bezeichnung Schule der Dinge trifft auf eine locker verbundene japanisch-koreanische Künstlergemeinschaft, die erst durch diesen Tadel zu einem Kunststil zusammenrückt. Lee Ufan setzt in seiner Relatum -betitelten Serie unter anderem einen Stein auf eine Glasplatte. Wiewohl diese Aktion aktiv das Verhältnis beider Materialien zueinander beeinflusst, sind die Bestandteile des Kunstwerkes im Mono-ha-Sinne nicht bearbeitet. In der 2019er Version Relatum – Momentum springt das kristalline, menschliche Kultur symbolisierende Material unter dem Gewicht des aufgesetzten Natursteines, in dem sich wiederum die Decke des Präsentationsortes spiegelt. Es ist der Betrachter selbst, der aus diesem wohl ersichtlichen Eingriff individuelle Erkenntnisse ziehen kann, entsprechend seiner jeweiligen kulturell-spirituellen Empfindungswelt. 1968 gestartet, vermittelt Ufan mit dieser Werkreihe die Transformation des genutzten Materials in ein inhärent ästhetisches Gebilde ohne handwerklichen Eingriff und weitergehende Konnotation, wie am Beispiel des durch einen Stein dahingestreckten Papstes Maurizio Cattelans humoristisch zu verdeutlichen ist. Auf gewisse Weise ist es genau dieser Mangel an Selbstironisierung oder jeglicher Form immanent überhöhender Haltung, einen gewissen Einhalt zu gebieten, die Ufans Position auch sehr in die Ferne zu rücken vermag. So steht es nun, das westlich kindliche Gemüt, das nur lächeln kann, wenn man es ihm sagt.

iir, january 2025