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piotr nathan
snowflakes, 1987

cut-out vinyl , 2000 individual units, palm size

while the others are dancing,
martin eugen raabenstein’s
sensor spotlight focuses on:

piotr nathan

© piotr nathan

en
de

the fairy tale record, released from its loving and ever-constant use in the children’s room, ends up as a superfluous household relic at the flea market and thus becomes the material carrier of piotr nathan’s artistic ideas. itself already a technological testimony to a civilizational shift, the vinyl replaces the patient reading voice of the caring adult, whose world—meant to be learned—is conveyed through eager projection with adventurous or fairy-tale-like parables, dispensed in small doses through endless repetition. these now purposeless, culturally homeless black discs are chosen by the artist as raw material to extract palm-sized abstractions using a jigsaw and a sure sense of form over an extended period—and to mount them on the wall in groups arranged in 10 x 10 grids. if the transition from the devoted grandmother reading from books to the mass-produced, endlessly available audio playback already constitutes a reduction, nathan’s delicate artistic cuts transform this childhood remnant into a well-formed, cryptic fragment of a now-lost world.

one might think that the polke student inscribes the aspect of time into his work; however, viewed soberly, he performs the exact opposite. by rather cutting time out of the object, he transforms it into a relic of noble, transformed contemplation. if we follow the line of sober observation a little further, nathan’s work becomes a pinpoint vision—these educational materials of older generations have themselves become targets of active cutting and eager transformation. certain aspects are now considered too violent or inappropriate to the social zeitgeist. removed from the original context of their historical creation, the adventures of pippi longstocking, jim button, or other youthful protagonists are freed from inappropriate, disruptive elements and redirected into alternative narrative structures. nathan’s approach from the 1980s does not intentionally aim toward this newly sought narration through the erasure of disagreeable content, yet through this anticipatory, not necessarily conscious act, he touches on a remarkable aspect of artistic foresight. each era critically combs through the expressive forms of its predecessors, though not always from optimally objective perspectives.

the now-retired professor of classical and experimental drawing and printmaking at the muthesius academy of fine arts in kiel painted in his early creative years the conceptually lively rethinking of the 20th century’s classical structures in the spirit of the simultaneity of fiction and reality in an individual manner. communicative content is sculpturally developed, and its original messages artistically turned inside out. the record fragments of the ‘snowflakes’ series could theoretically be played on a turntable, and a future archaeologist would certainly take great pleasure in interpreting the remaining parts as clues to a greater whole, a still-undiscovered story. a portion of the original meaning may still be present, but can only be completed with the help of subjective fictions. through this advancement in dealing with duchampian bathroom objects, nathan soberly returns poetry to the modern use of industrially manufactured art objects—poetry whose true origin lies in those fairy tales in which pots, wells, or geese are capable of truly wondrous acts. since these stories, although sometimes deeply buried, eke out a sparse existence in our minds, we rediscover them—there on the wall, shaped from vinyl.

iir, june 2025

Die Märchenplatte, ihrer liebevollen und immerwährenden Nutzung im Kinderzimmer entbunden, landet als überflüssige Haushalts-Altlast auf dem Trödelmarkt und wird so zum materiellen Träger der künstlerischen Vorstellungen Piotr Nathans. Selbst schon ein technologisches Zeugnis eines zivilisatorischen Wandels, ersetzt das Vinyl die geduldige Lesestimme des betreuenden Erwachsenen, dessen zu erlernende Welt durch gelehrige Projektion mit abenteuerlichen oder eben märchenhaft zu verstehenden Parabeln in der unendlichen Wiederholung häppchenweise verabreicht wird. Diese zweckentbundenen, kulturell nun heimatlosen schwarzen Scheiben wählt der Künstler als Rohmaterial, um mithilfe einer Stichsäge und formsicherer Intuition über einen längeren Zeitraum hinweg handtellergroße Abstraktionen herauszulösen – und diese in 10 x 10 arrangierten Gruppen wiederum auf die Wand zu bringen. Entspricht der Wechsel von der treuseelig aus Büchern vortragenden Großmutter hin zur Massenware günstig zu erwerbender Endlosbeschallung schon einer Verkleinerung, verwandelt Nathans feinsinniger Kunstschnitt das Kindheitsüberbleibsel in ein schwerlich zu entschlüsselndes, wohlgeformtes Fragment einer nunmehr verlorenen Welt.

Man möge meinen, der Polke-Schüler schreibe so den Aspekt Zeit mit in seine Arbeit hinein; nüchtern betrachtet allerdings vollführt er den genauen Gegenzug. Indem er die Zeit eher aus dem Objekt herausschneidet, verwandelt er dieses solcherart in ein Relikt hehrer, gewandelter Betrachtung. Folgen wir den Grenzen der nüchternen Betrachtung ein wenig weiter, entwickelt sich Nathans Arbeit zur punktgenauen Vision: Sind eben jene Bildungsmaterialien älterer Generationen selbst zum Zielpunkt tatkräftiger Schneiderei und eifriger Umbauversuche mutiert. Gewisse Aspekte darin gelten nun als zu gewaltsam oder dem gesellschaftlichen Zeitgeist unangemessen. Aus dem eigentlichen Kontext ihrer Entstehungsgeschichte herausgearbeitet, werden die Abenteuer von Pippi Langstrumpf, Jim Knopf oder anderer jugendlicher Protagonisten vom unpassend erscheinenden, störenden Unrat befreit und in alternative Erzählstrukturen umgeleitet. Nathans Vorgehen der Achtzigerjahre führt nicht zielgerichtet auf diese neu gesuchte Narration durch Auslöschung unliebsamen Inhalts hin, berührt allerdings mit diesem voraussehenden, nicht unbedingt bewussten Akt einen erstaunlichen Aspekt künstlerischer Weitsicht. Jede Epoche durchstöbert kritisch die Entäußerungsformen der Altvorderen – wenn auch nicht immer unter optimal objektiven Gesichtspunkten.

Der mittlerweile emeritierte Professor für klassische und experimentelle Zeichnung und Druckgrafik an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel malt in seinen jungen Schaffensjahren das konzeptionell muntere Umdenken klassischer Strukturen des 20. Jahrhunderts im Sinne der Gleichzeitigkeit von Fiktion und Realität individuell weiter. Kommunikative Inhalte werden skulptural entwickelt und deren ursprüngliche Botschaften künstlerisch in sich gestülpt. Die Schallplattenfragmente der „Snowflakes“-Reihe wären durchaus auf einem Plattenteller abspielbar, und ein zukünftiger Archäologe hätte mit Sicherheit eine übergroße Freude daran, aus den verbliebenen Resten auf das große Ganze, die unentdeckt verbleibende Geschichte, zu deuten. Ein Teil der originalen Bedeutung mag zwar noch enthalten sein, kann sich aber nur unter Zuhilfenahme subjektiver Fiktionen vollenden. Mit diesem Vorantreiben des Umgangs mit duchamp’schen Toilettenutensilien gibt Nathan der nüchtern modernen Verwendung industriell gefertigter Kunstobjekte eine Poesie zurück, deren tatsächlicher Ursprung eben aus jenen Märchenerzählungen entspringt, in denen Töpfe, Brunnen oder Gänse zu wahrlich wundersamen Taten befähigt sind. Da diese Geschichten, wenn auch mitunter sehr abgelegt, in unseren Köpfen ein karges Dasein fristen, entdecken wir sie wieder – dort an der Wand, geformt aus Vinyl.

iir, june 2025

ask not what art can do for you,
ask what you can do for art.

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